RA Mag. Melanie Gassler-Tischlinger, LL.M. befasste sich im “Statement”, Ausgabe Nr. 5 (Medienmagazin des Österreichischen Journalisten Clubs), mit den rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Seenotrettung.
Kapitänin Rackete – Heldin oder Verbrecherin?
Carola Rackete und ihre Besatzung retteten im Juni 53 aus Libyen geflüchtete Menschen vor dem Ertrinken. Nach wochenlangem Warten fuhr sie trotz der verordneten Sperre den Hafen von Lampedusa an. Dort wurde sie festgenommen und unter Hausarrest gestellt.
Die italienische Staatsanwaltschaft wirft der Kapitänin vor, die illegale Einwanderung zu unterstützen und Widerstand gegen ein Marine-Kriegsschiff geleistet zu haben. Sie sei kein Rettungs-, sondern ein Fährdienst, sagen Kritiker. Salvini bezeichnete sie als „Verbrecherin“ und sprach von ihrem „Piratenschiff“.
Ihre Unterstützer hingegen sind der Ansicht, dass Seenotrettung nicht kriminalisiert werden dürfe und zogen auch Vergleiche zu Sophokles’ Antigone.
Das UN-Seerechtsübereinkommen und andere internationale Abkommen sehen vor, dass Gerettete so schnell wie möglich an einen sicheren Ort zu bringen sind. Ob die Rettung zufällig oder „geplant“ erfolgt, spielt dabei keine Rolle. Ein korrespondierendes Recht auf Ausschiffung in einem bestimmten Hafen gibt es jedoch grundsätzlich nicht.
Ist ein souveräner Staat berechtigt, seine Häfen zu schließen und die Anlandung zu verweigern? Sofern keine Seenot vorliegt, wohl grundsätzlich schon. Rackete sieht Libyen und andere nordafrikanische Länder nicht als sichere Orte, weil dort Menschenrechtsverletzungen drohen würden. Lampedusa sei der nächstgelegene sichere Hafen gewesen. Aufgrund der akuten Notlage an Bord sei das Anlegen ein verzweifelter letzter Versuch gewesen, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Das Nothafenrecht habe sie berechtigt, den Hafen anzulaufen.
Die sizilianische Untersuchungsrichterin hob den verhängten Hausarrest übrigens wieder auf, mit der Begründung, Rackete habe „nicht gegen das Gesetz verstoßen“. Ob sie wegen ihres Anlegemanövers schlussendlich verurteilt wird oder nicht, bleibt abzuwarten. Gesichert erscheint, dass Libyen nicht als sicherer Ort gilt. Ausschlaggebend wird daher insbesondere sein, ob eine Notlage an Bord bestanden hat und die Geretteten von einer schweren und unmittelbaren Gefahr bedroht waren.
Unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens braucht es klarere Regeln und bessere Garantien für schiffbrüchige Flüchtende. Es wird geschätzt, dass zwischen 2014 und Mitte 2019 über 18.000 Menschen, davon rund 700 Kinder, im Mittelmeer – und damit vor den Toren der EU – ertrunken sind.